Seinen Platz einnehmen

Anregungen zu persönlichen Standortfragen

Die Philosophie ist … eine sanfte Disziplin. Sie nähert sich dem Menschen mit Respekt vor seiner vollen Menschlichkeit und ist in diesem Sinne eine Form der Liebe. Häufig kann sie unmissverständlich sagen: „Das ist falsch. Das ist keine Art zu leben.“ Aber sie tut dies, ohne Menschen auszugrenzen; sie verurteilet falsche Überzeugungen und schlechte Taten, behandelt jedoch Menschen immer mit Aufmerksamkeit und Respekt.

Martha Nussbaum

Wie wahr, ein sehr schönes Verständnis von Philosophie. Martha Nussbaums Aussage als Anregung zu einer persönlichen Standort-Frage anzuwenden, kann heilsam sein: „Ist dies meine Art zu leben? Bin ich inmitten unserer Welt an einem Platz, den ich einnehmen möchte – als die, die ich bin? Bringe ich mich in all meiner Lebendigkeit, nach meinem Vermögen, ein ins große Ganze? Sinnvoll und heilsam für mich und andere?“

Solche Fragen sind, wie ich meine, tatsächlich ein Akt der Liebe. Sie stellen uns in einen großen Zusammenhang und weisen weit über uns hinaus. Die Wahrhaftigkeit, jene nüchterne Schwester der Philosophie, klopft sanft an die Pforten unserer Lebensspielräume. Willst du tatsächlich so und so leben? Wo soll der Weg dich hinführen? Jedoch – so die gute alte Philosophia – verurteile dich nicht, begegne dir mit Respekt, halte inne und höre dir zu: Was ist wirklich wichtig an diesem, meinen Lebensort, wenn ich mich denn selber ernst nehme?

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Optimismus statt Optimierung

Gesund-Sein in Lebenswelten – ein humanistischer Ansatz in der Gesundheitsförderung

Salutogen-ressourcenorientiert – und alles ist gut?

Das Thema Gesundheit ist in den letzten Jahren glücklicherweise stark in den Focus präventiver Aufmerksamkeiten gerückt. Viele sehr gute salutogen-ressourcenorientierte Programme und Maßnahmen wurden konzipiert, entwickelt und umgesetzt. Der Bedarf war und ist angesichts der wachsenden Anzahl stressbedingter, körperlicher und psychosomatischer Erkrankungen gegeben. Interessanterweise wird das Angebot gerade in beruflicher Gesundheitsförderprogrammen nicht in solchem Maße angenommen, als Anbieter sich dies wünschen würden. Die Dringlichkeit ein nachhaltiges Gesundheitsbewusstsein zu vermitteln, braucht in der Vermittlung offensichtlich einen langen Atem. Oftmals steht ein: „Keine Zeit!“ „Bitte nicht noch was tun müssen!“ oder: „Nützt eh nichts…!“ den wunderbaren Angeboten entgegen.

Eine gute Gelegenheit dieses „Überfordert von allem und jedem-Symptom“ (und sei es auch von Gesundheitsförderungsprojekten…) einmal unter die Lupe zu nehmen.

Kulturelle Entwicklungen

Seit den 80 und 90er Jahren spiegelt sich präventives Gesundheitsbewusstsein, wie oben schon erwähnt, glücklicherweise in Inhalten von Seminar- und Fortbildungsprogrammen. Der Frage „Was macht uns krank?“ wird längstens vielerorts die Frage „Was erhält uns gesund?“ vorangestellt.
Parallel dazu waren in großen Teilen unserer Gesellschaftsbelange (besonders seit den 90erJahren) Phänomene einer ungeheuren Beschleunigung zu bemerken (auf die ich hier nicht näher eingehen werde). Internet, soziale Medien, Digitalisierung und vieles mehr sind wohl Segen und Fluch zugleich. Auch ohne in einen, wenig förderlichen, Kulturpessimismus zu verfallen, kann eine zunehmen Leistungsorientierung auf breiter Ebene nicht verleugnet werden. Neben vielen zeit- und ressourcensparenden Auswirkungen unserer beschleunigten Welt, blieben die „Symptome“ einer, auf Optimierung ausgerichteten, Arbeitswelt nicht aus. Diffuse Stresserkrankungen, Burnoutsymptomatik und eine Reihe psychosomatische Erkrankungen machten und machen auch Expert/innen (immer wieder) ratlos. Damit einhergehend setzte der vielzitierte „Rückzug in`s Private“ ein…

Und – auch die wunderbarsten gutgemeinten ressourcenorientierten Herangehensweisen in der Gesundheitsförderung kamen der kollektiven Leistungs- und Optimierungsschiene der letzten beiden Jahrzehnten nicht aus. Trainer/innen vermittelten Stressbewältgungstools und Zeitmanagement zur optimalen Entlastung (in immer noch kürzeren Programmen). Expert/innen entwickelten immer noch bessere Ressourcenkonzepte mit vielen Tools und Skills, die in kurzen Methodenschritten vermittelt und effektiv eingesetzt werden sollen. (hier ein wenig pointiert formuliert)

Jedoch – Menschen wurden und werden „müde“ und fühlen sich auch bei noch so durchdachten Resilienzmethoden oftmals überfordert. Kurzfristig begeistere Konsument/innen von gut gemeinten Gesundheitsförderprogrammen scheitern oftmals an tatsächlicher Anwendbarkeit erlernter Strategien (und fühlen sich dadurch wieder als VersagerInnen) sowie an fehlenden Nachhaltigkeit.

Zeitgemäße Bedürfnisse / Reduktion … – und „Weniger ist mehr!“

Stelle ich heute in Seminaren und Workshops die Frage, was denn heutzutage für ein gutes Leben wirklich wichtig sei und was in der Gesundheitsförderung wirklich benötigt würde, antworten Menschen zunehmend mit: „Weniger ist mehr“, Ruhe, Stille, Achtsamkeit, Wertschätzung, Anerkennung, u.a.
Befragt auf den Wunsch von Inhalten bei Gesundheitsförderungsprogrammen lauten die Anliegen:
Wertschätzende Kommunikation / Wie sage ich ehrlich meine Meinung? Wie kann ich mir Gehör verschaffen? Wie schütze ich meine Privatsphäre? Wie setze ich gute Grenzen im Miteinander?
Und gerade in den letzten beiden Jahren: Humor / Leichtigkeit.

Waren in den 90er Jahren Seminarthemen wie „die Marke Ich“ , „Vom Problem zur effektiven Lösung“ Dauerbrenner, so setzte ein gravierender Wandel ein. Bedürfnisse scheinen sich zu verschieben.

Menschen beginnen sich (trotz einer gesellschaftlichen Ausrichtung auf Optimierung und Wachstum) wieder als verletzliche und ruhebedürftige Wesen zu verstehen. Eine Sehnsucht nach inneren Werten, nach einem „Füreinander Sorgen“, eine Besinnung auf menschliche Werte, auf Verletzlichkeiten und Sensibilitäten stellt sich zunehmend ein. Vor allem wollen Menschen gefragt werden, was sie wirklich brauchen und wehren sich möglicherweise unbewusst gegen Effektivierungsbevormundung.

Fazit und Ausblick – Optimismus statt Optimierung

  • Trotz salutogener evidenzbasierter Herangehensweisen in präventiven Projekten ist die Sicht auf das Thema „Gesundheit“ immer noch sehr stark funktional geprägt (bedingt durch gesellschaftliche Interpretationen einer leistungsorientierten Gesellschaft).

  • Wird im Setting Schule betriebliche GGF durchgeführt, so werden gewohnheitsmäßig zu Beginn Ressourcen und Belastungen der Arbeitssituationen erhoben und darauf aufbauende Programme entwickelt, die notwendige Information, Bewältigungs-Strategien und Trainingsmethoden vermitteln. (Vorträge, Seminare, Workshops u.a.).

  • Traditionelle Wissensvermittlung basiert zumeist immer noch auf den Annahmen rationalen Verstehens, analysebezogener Erkenntnis. D.h. man nimmt an, Wissensinput, Information und Training führt zu Verstehen und vernunftvolles Verstehen führt in der Folge zu Umsetzung und optimalerer Handlung. Gesundheitsförderung geht jedoch über rationales Verstehen hinaus. Verstehen (rationale Einsicht) allein ist oft zu wenig.

  • Eine vorangestellte lebenspraktische Sensibilisierung zum Thema „Ganzheitliche Gesundheit / Ganzheitliche Gesundheitsförderung“ ist wenig vorgesehen
    (Was meinen wir mit „Gesundheit“? Was wollen wir? Welche Wege wollen wir beschreiten?).

  • Es fehlt tatsächlich an lebenspraktischem Verständnis (Kopf-Herz), am Erkennen von Zusammenhängen und an individueller Auseinandersetzung.

Gesundheit als „unfertiges“ lebenspraktisches Thema vermitteln…

< Es scheint notwendig Gesundheit in einer Art und Weise zu kommunizieren, die Lust macht, auf breiterer Ebene (persönlich, kulturell, gesellschaftlich) kreative Wege zu beschreiten.1

< Mittels Sensibilisierung für das Thema (kulturell, gesellschaftlich, persönlich…), durch kreative, entschleunigte Herangehensweisen, lebensthematische Auseinandersetzungen und einer Involvierung in die Thematik (in Herangehensweisen die Kopf und Herz berühren) hat das Thema Gesundheit einerseits sehr gute Chancen Akzeptanz und Interesse zu finden und andererseits quasi als Türöffner Lust auf viele sinnvolle weiterführende Bereiche zu fungieren. (Wertschätzung, Ökologie, Philosophie u.a.)

< Humanistische Gesundheitsförderung setzt darüber hinaus auf Entschleunigung in Umsetzung und Strategieplanung. Kurzfristig erzielte Verhaltensänderungen (Ernährung, Sport, Entspannung…) bringen zwar oft kurzfristige Erfolge, scheitern in der Nachhaltigkeit leider oft als „einer unter mehreren Versuchen“, da innere Überzeugungen oder ein Ausrichten auf individuelle stimmige Lebensqualitäten fehlt.

Zeitgemäße humanistische Gesundheitsförderung und ihre Ausrichtung

(eine bedürfnisangepasste inhaltliche Weiterführung der Ottawa Charta)

Im Folgenden mein Versuch ganzheitliche Gesundheitsförderung an zeitgemäße Bedürfnisse anzupassen und weiter zu entwickeln. Nachfolgendes Konzept ist Fazit meiner jahrelangen Entwicklungsarbeit und meiner Erfahrungen in Umsetzung und Feedback der hier beschriebenen humanistischen Herangehensweise (3 Ebenen der GGF). Integrative Burnout Therapie (IBT), spezifische LKUF Programme, Führungskräftezyklen im Bildungsbereich, auf dieser Basis adaptierte Beratungs- und Supervisionsformate und der Lehrgang Public Health Lehrer/innen Gesundheit basiert auf diesen lebensphilosophischen Annahmen in Herangehensweisen, Vermittlung, Methodik und Weiterentwicklung.

Meines Erachtens brauchen wir kein völlig neues Konzept, sondern eine bedachtsame Weiterentwicklung bestehender Gesundheitsförderungs-Konzepte. Die Basis einer sinnvoller GGF sind nach wie vor die, bis heute gültigen, wohl durchdachten Inhalte der WHO Ottawa Charta. (Definition WHO 1986: Gesundheit als physischen, psychischen und sozialen Wohlergehens / Wohlbefinden). Die WHO beschreibt „Gesundheit“ als Wert, der von allen Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt wird: dort, „wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben“. Die Charta folgt in seiner Ausrichtung einer sinn- und stärkenorientierten Gesundheitsphilosophie (Ebene 1 – health being) und effektiver Informationsvermittlung und vielfältiger Handlungsmotivation folgt (Ebene 2 – health doing).

Diesen traditionellen beiden Ebenen füge ich ein dritte hinzu, die heutige gesellschaftliche Bedürfnissen nach „weniger ist mehr“ berücksichtigt und der Sehnsucht nach Ruhe, Achtsamkeit, Wertschätzung u.a. entspricht.

  1. Sinn und Sein, Werte, Lebensqualität/ Lebensperspektiven Health Being

  2. Stressbewältigung Instrumentarien / Training „stark und gesund“ Health Doing

  3. Achtsamkeit, Wertschätzung, „Bedachtheit“ Humanistic Awareness

Jedoch steht keine Ebene ganz für sich allein. Nur alle drei Ebenen zusammen bilden eine sinnvolle Basis. Durch Einbindung von Eben 3 vermag auf Ebene 1 und 2 Bedachtheit und Besonnenheit Einzug halten.
In ihrer Vernetzung und Verbindung bewirken alle Ebenen zusammen Optimismus statt Optimierung und vermögen den Menschen bestenfalls an die guten alten Kompetenzen der Gelassenheit und Leichtigkeit zu erinnern!

Die drei Ebenen innovativer humanistischer Gesundheitsförderung im Detail

Health Being

An Sprache und Leitgedanken der Ottawa Chart kann man eine grundsätzliche Orientierung an den Grundsätzen humanistischer Psychologie, an Prinzipien der care-ethik und am Konzept positiver Psychologie bemerken (Maslov, Seligman). Die Charta versteht sich als ausdrücklich als positives, werteorientiertes Konzept. Ziel ist, Wohlergehen und förderliche Lebensqualitäten durch ein Ernstnehmen eigener Bedürfnisse und durch eine Verankerungen in Sinn – und Seinsperspektiven zu unterstützen. Menschen sollen ermutigt, befähigt und ermächtigt werden selbstbestimmt für ihr GesundSein sorgen zu können.
(Bedürfnis und Ressourcenerhebungen, Selbstempowerment, Zugang zu notwendigen Information u.a. )

Health Doing

Parallel dazu wurden, gerade in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, bedingt durch eine zunehmende gesellschaftliche Leistungsorientierung, die Themen „Stressbewältigung“ und „Stressprävention“ immer populärer. Durch vielfältige Forschungen und Studien wurden gezielte Methoden entwickelt. Daraus resultierende Trainings, Tools und Skills fokusierten Verbraucherinteressen. Stressbewältigung und Stressprävention zielt darauf ab, Menschen Instrumentarien an die Hand zu geben, um den immer komplexeren Anforderungen des täglichen Lebens besser und effektiver gerecht werden zu können. Erhebung, Training und Übung sind wesentlicher Teil dieser Ebene.

Bis hinein in den Beginn des 21. Jahrhunderts bildeten beide Ebenen zusammen die maßgeblichen Leitlinien der Gesundheitsförderung, wobei seit Mitte der 90erJahre eine starke Ausrichtung zur Schiene der Bewältigungsstrategie bemerkbar wurde.

Humanistic-awareness

In den letzten beiden Jahrzehnten setzte eine kulturphilosophisch interessante Entwicklung ein. Bedürfnisse verschieben sich. Menschen sehnen sich nach Ruhe, nach Auszeit, nach Anerkennung und einem dringlichen „Weniger ist mehr.!“ Bezogen auf Gesundheitsförderangebote könnte man es etwas salopp so formulierten: Der ewig sinnsuchende Selbstaktualisierer (health being) ist genauso wie der immerwährende Stressbewältiger und Informationsträger müde geworden. Heute sind nicht die tüchtigen, taffen, quasi unerschütterlich unverletzbaren, vor Selbstsicherheit gleichermaßen Strotzenden ein ansprechendes Identifikationsbild in der Gesundheitsförderung, sondern Menschen, die sich als „Persönlichkeit“ bemerken, beachten und sensibel bleiben für sich und andere (und Humor haben!). Kraftvoll zu seinen Überzeugungen zu stehen, diese auch ausdrücken, sich dabei aber auch mal verunsichern zu lassen, wirkt ansprechender als super selbstbewusst alles können zu müssen. Diese, sich derzeit entwickelnde, dritte Schiene wird innerhalb der Gesundheitsförderung in den nächsten Jahren eine immer größere Rolle spielen. Man könnte diese Ebene einstweilen als Humanistic Awareness bezeichnen.

Jedoch!!!
Nur alle drei Ebenen zusammen bilden in der Gesundheitsförderung ein gutes solides Fundament. Jede Ebene braucht ihren Wirkkreis und vor allem ihre Rückbindung auf die beiden anderen Ebenen.

Es ist nach wie vor immens wichtig individuelle und gemeinschaftliche Verhaltensgewohnheiten zu überdenken, zu verändern und auf traditionell gesunde Lebensweisen (Sport, Bewegung, Ernährung) zu achten (health doing). Zeitgleich können Fragen der Seins- Orientierung (Was ist mir als Lebensqualität wichtig? Worauf möchte ich, möchten wir als Gemeinschaft achten? u.a. ) wesentlich identifikationsstiftend sein (health-being). Diese Wege ruhig und bedacht zu beschreiten, dabei auf sich und andere zu achten, kann viel zu gelingender Umsetzung beitragen (health humanistic awareness).


Anhang 1

Fragen und Ausrichtung Ebene 1: Sinn und Sein

Sinnhaftigkeit im Leben, Rückbindung auf sinngeleitetes Tun im Leben (im Job!),
Allgemeine Fragen wie: Was bedeutet für mich persönlich „Gut im Leben stehen“

Was macht mich aus, als die die ich bin im Sinne meiner Talente und Fähigkeiten,
Werteorientierung in der Persönlichkeitsarbeit: Werte und Ressourcen, Was macht mich lebendig?

Reflexionen und biografisches Arbeiten: Wo stehe ich grade?
Veränderungsprozesse und Perspektivenwechsel sowie Fragen allgemeiner Ethik

Fragen und Ausrichtung Ebene 2: Stressbewältigung

Information über Bewegung, Ernährung, Sport, Verhaltenstraining für Stresssituationen, Mentales Training

Information über psycho-physiologische Zusammenhänge des Stressgeschehen als auch der Entspannung, Stressoren und Copingstrategien,
Reaktion auf Stress und Stressfolgen: Was ist zu tun? Was ist möglich?

Resilienz: Wie kann ich den alltäglichen Anforderungen gerecht werden?
Entwicklung psychischer Widerstandskraft

Lifeleadership / Reflexion: Stressoren als Kraftfeld – Energiequellen und Energieräuber erkennen, Individuelles Gleichgewicht in den verschiedenen Lebensbereichen herstellen

Frage und Ausrichtung Ebene 3: Humanistic Awareness

Involvierung in philosophisches Nachdenken zu verschiedenen Lebensthemen:
GesundSein: Was meinen wir damit in Zeiten wie diesen? Was scheint für Menschen wesentlich zu sein?
Augenmerk auf Reduktion,
Allgemeine Fragen zu: Was ist wirklich wichtig im Leben? Lebenskunst in heutigen „Zeiten“,
Praktische Philosophie in Berufswelten: Professionalität und Menschlichkeit / Was scheint uns wichtig?
Bezüge zu den Themen: Selbstsorge, „Füreinander Sorge tragen“, Bedachtheit, Besonnenheit
Achtsamkeit, Wertschätzung, Anerkennung.

Kommunikation: Entschleunigung und Wertschätzung im Miteinander, Prämissen im professionellem Setting,
Information zu Handlungsoptionen mit Augenmerk auf entschleunigtes, bedachtes Agieren,
Natur als Kraftquelle wahrnehmen und erleben,

Leichtigkeit im Leben finden, Humor!

1http://www.goeg.at/: Gesundheit Österreich GmbhAls bedeutendster nachhaltiger Einflussfaktor für Gesundheitskompetenz ist das Bildungswesen zu sehen, da hier die grundlegende funktionelle Literacy (Schreiben, Lesen, Rechnen) gebildet wird. Neben dem Bildungswesen sind das Gesundheitssystem und weitere kulturelle und gesellschaftliche Lebensfelder wichtige Ansatzbereiche für Maßnahmen.

Über meditative Praxis und die Chancen achtsamer Übung

 

Integrative Energiearbeit – Meditative Praxis und die Chancen achtsamer Übungpdf anzeigen

Meditation allgemein

Warum praktizieren Menschen seit vielen Jahrhunderten Meditation? Warum versuchen Menschen seit tausenden von Jahren irgendwo in ihr Innerstes einzudringen, versuchen oft verzweifelt bis zur Selbstaufgabe, irgendwohin zurückzukehren, an einen Ort des Denkens der scheinbar ursprünglicher, echter sein soll, als jenes Denken, jene alltägliche Selbstwahrnehmung, die uns vertraut ist. Was veranlasste Menschen unterschiedlichster Kulturen meditative und kontemplative Praxis zu „erfinden“.

Interessant scheint mir vorab auch, dass selbst Menschen, die keine Meditation praktizieren, zumeist eine bestimmte Vorstellung davon haben, was Meditation ganz allgemein bedeuten könnte. Ich nehme daher an, für die meisten Menschen ist es rein intellektuell durchaus vorstellbar, dass es so etwas wie meditative Erkenntnis gibt, was immer das dann auch zu bedeuten vermag.

Nun könnte man daraus zwei unterschiedliche Hypothesen bilden:

Einerseits: Es gibt so etwas wie Meditation und Kontemplation tatsächlich als reale Praxis, die vielfältige Erfahrungen in sich birgt.

Andererseits: Es schlummert eine alte Sehnsucht in uns, eine recht menschliche Sehnsucht nach einer Flucht weg vom aktuellen, alltäglichen Hier und Jetzt an einen Ort in unserem Bewusstsein, der uns unser Hier und Jetzt für  kurze Augenblicke vergessen lässt.

Würden wir Zweiteres annehmen, dann wäre die Diskussion hier auch schon wieder beendet und unser Denken um eine Illusion ärmer. Nehmen wir ersteres an, dann lohnt es sich doch einen Blick auf den Prozess dieser meditativen Erfahrungen zu werfen.

Praxis

Erst einmal lernt meditative Praxis dem Übenden eine Bündelung von Bewusstseins-Präsenz. Der/die Übende soll lernen innere und äußere Aufmerksamkeit zu bündeln, d.h. einfach anwesend zu sein, ohne Fragmentierung, ohne Abweichung. Oft bedeutet dies einfach ein allgemeines Beobachten und Wahrnehmen des Bewusstseinsstroms, ein Verweilen bei bestimmten Betrachtungen mittels objekthafter Ausrichtung, eine Einübung in Offenheit und Weite eines einfachen, stillen Anwesend-Seins. Das Bewusstsein lernt ein Dabei-bleiben in unverkrampfter, jedoch konzentrierter Anwesenheit, um nach und nach der Gesamtheit des Bewusstseins eine ruhigere Strukturierung zu ermöglichen.

Die Art und Weise der Meditation ist im jeweils kulturellen Erscheinungsbild völlig unterschiedlich. Zumeist wird die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Objekt, auf bestimmte Wörter oder Vorstellungen gerichtet, um dieses Dabei-bleiben des Bewussteins, diese Bündelung einzuüben.

Drei Arten meditativer Übung nach Claudio Naranjo[1]
  • Objekthafte Meditation / dualistisch:
    Der/die Übende lernt sich auf etwas Vorgegebenes, „außerhalb seiner/ihrer selbst“ zu konzentrieren,
    z.B. auf eine bestimmte Vorstellungen, auf bestimmte Wörter, Atemrhythmen etc. Dieses Verweilen bei objekthaften Vorstellungen, bzw. vorgegebenen Rhythmen ist ähnlich einer Spiegelung und soll dem/der Übenden ermöglichen, dass dieses außerhalb Befindliche zu seiner/ihrer selbst wird, d.h. er/sie diese Vorstellungen etc. in meditativer Weise integrieren lernt.
    Z.B. von der Erfahrung: „ich atme“ verdichtet sich erlebte Erfahrung zu „ich bin dieses Atmen“, von einer Betrachtung oder Wiederholung von bestimmten Vorstellungen, z.B. stärkende Worte oder emotionale Qualitäten (Liebe, Hingabe) verändert sich die Wahrnehmung zu „alles was ich bin ist dieses XY“, mit der dazugehörigen Erfahrungsqualität etc.
  • Intiuitv spontane Meditation / monistisch:
    Der/die Übende lässt etwas aus der Tiefe seines/ihres Denken auftauchen, einen Begriff, ein Gefühl etc., etwas das sozusagen innerhalb entspringt. Man versucht mittels betrachtender Anwesenheit dieses Selbstempfinden einer Art Transformation zuzuführen, versucht das Gewahren einer Art formlosen Tiefe (Naranjo) zuzulassen.
    Z:B. Bei ruhiger Betrachtung taucht intuitiv ein Wort oder eine Empfindung auf, der/die Übende nimmt dieses Wort, diese Empfindung, und versucht bei dieser Wahrnehmung zu bleiben / zu verweilen, die Qualität des Betrachtenden kann sich in der Folge in verändernder Weise wieder integrieren.

Beide Wege sollen letztlich zu einer Einigung von innen und außen führen. Ein Symbol, das ich betrachte oder ein Wort das ich wiederholend z.B. mit einem bestimmten Atemrhythmus verbinde, wird zu meinem Wort, d.h. integriert seine Bedeutung in verändernder Weise. Beim zweiten Weg kann etwas, das spontan und intuitiv in mir auftritt, durch einen Prozess des immerwährenden Loslassens sich in seiner Bedeutung verändern, um in der Folge um Aspekte, bzw. Bedeutungen bereichert oder abstrahiert, integriert zu werden. Beide Wege versuchen dem Bewusstsein zu lernen, eine klare offene Struktur auszubilden, die eine Art „verweilende Präsenz“ halten kann. Beide Wege versuchen Gedanken zu klären und einen „Selbstprozess“ zu unterstützen. Beide Wege können vermehrte Klarheit in der eigenen Denkstruktur entwickeln.

  • Meditative Selbstentleerung / negative Aneignung / objektlose Meditation:
    Der/die Übende versucht eine völlige Stilllegung der Gedanken, ein Loslösen der begriffsbildenden Tätigkeit des Geistes zu erreichen. Alltägliche Bewussteinstätigkeiten sollen aufgelöst werden, um einen neuen Erfahrungsbereich betreten zu können. Ziel ist hierbei ein gänzliches Loslassen von allen Vorstellungen, von allen wiederkehrenden Eindrücken. Eine völlige Entsagung aller auftauchenden Bewussteinseindrücke, ein ständiges Ablassen von Empfindungen, Eindrücken etc.
Meditativ-kontemplative Erfahrungen

In meditativer Terminologie spricht man bei

  • der Einstiegsübung oder Praxis, von „Meditation“, bzw. meditativer Praxis
  • von dem sich daraus ergebenden Selbstprozess von „Kontemplation“, bzw. kontemplativer Erfahrung.

Das heißt, die gewählte Form der Praxis des Anwesend-Seins, der Bündelung von unverkrampfter Aufmerksamkeit entspricht einer bewussten, wenn auch intuitiv unterstützenden Auswahl  der jeweiligen, wie schon erwähnt vielfältigen, kulturellen Übungspraxis. Der sich daraus ergebende Selbstprozess, der einer Erfahrung entspricht, die sich gleichsam „von selber“ einstellt, die man weder „machen“ noch selber steuern oder kontrollieren soll und kann, entspricht der Kontemplation, bzw. spricht man dabei von kontemplativer Erfahrung.

Das bedingt auch, dass man Meditation üben kann, Kontemplation jedoch nicht. Der / die Übende kann Meditation praktizieren, muss aber nicht unbedingt kontemplative Erfahrungen dabei haben. Auch können sich kontemplative Erfahrungen außerhalb des Übens einstellen, können sozusagen als Folge der meditativen Praxis verzögert auftreten oder aber auch gar nicht entstehen.

Jede meditative Praxis anerkennt, dass sich kontemplative Erkenntnis nicht in reflexiver Tätigkeit des Verstandes, bzw. der Vernunft vollzieht, sondern in einem Bewusstseinsraum, der  mehr als rationale Selbstreflexion bedeutet. Meditative Praxis berücksichtigt, dass es einer Überverantwortung an ein „mehr-als-ich-selbst-bin-denken“ bedarf, einer Hingabe an etwas von mir „scheinbar“ außerhalb Befindliches, etwas das über meine alltäglichen Grenzen der Wahrnehmung hinauszugehen vermag. Ganz nüchtern könnte man auch sagen, man betritt einen intuitiven Erkenntnisraum, der einen unterscheidenden Geist zurücklassen kann, um in ein grundsätzliches Eingebunden-Sein in Welt-Leben etc. einzudringen. Oft spricht man dabei auch von einem „Schweigen des Subjektiven“ zugunsten einer allgemeineren Welt-Leben-Erfahrung. Die DaoistInnen sprechen z.B. von einem Verschließen der drei Schätze, Augen Ohren und Mund, um sie keine Spielchen treiben zu lassen, denn wirkliche Menschen tauchen ein ins Unergründliche.[2]

Ein meditativer Geist ist im besten Fall ein in Präsenz geschulter Geist, der offen, wach und frisch, und vor allem empfindsam geworden ist. Ganz allgemein fördert meditative Praxis ein Zentriert-Sein und bildet eine Basis aus, einen Boden, bzw. eine neue Sicherheit im Denken, die den analytischen Geist weder zu mindern noch zu überhöhen versucht, sondern darüber hinaus intuitivere Erkenntniswege erforschen kann.

Defacato ist kontemplative Erfahrung nur sehr schwer beschreibbar, weil man mit meditativ-kontemplativer Erfahrung den Raum vielfältiger Paradoxa betritt. Wie z.B. die Erfahrung gleichzeitiger Stille und Dynamik, die Einheit von Betrachten und Loslassen, sowie selbsttätige Bewegungen und Erfahrungen des Bewussteins, die über alltägliches Raum-Zeit-Erleben hinausgehen können und dennoch völlig in der Welt zu sein scheinen. In kulturübergreifender Erfahrung spricht man von einer Verfeinerung des Geistes, damit dieser  zu Leerheit werden kann. Jedoch, so die Erfahrung, wenn die Arbeit an diesem Punkt angelangt, so hätte „kein Wort mehr Geltung“[3], man müsse nun außerhalb von Worten suchen.

Alle Erfahrungen, gleichgültiger welchem Kulturkontext entstammend, beinhalten eine Bündelung von Energie und Empfindungs-Erfahrung, sowie ein ungeteiltes Betrachten.


Denken- Bewusstsein
Logisch-analytisches Denken-Können

In alltäglich kritischer Selbstwahrnehmung und Betrachtung – nüchtern und analytisch – sind wir fähig, uns selbst ziemlich genau wahrzunehmen und zu reflektieren. Wir bemerken, wie wir über uns, über die Welt denken. Wir bemerken, was uns beschäftigt, aber auch was wir in unserem Denken und Handeln vermeiden. Wir können mit ein wenig Beobachtungsgabe wahrnehmen, welche Sehnsüchte in vielfältigen Gedankenspuren immer wieder zurückkehren, was uns Freude macht, gut tut und was eher nicht. Dieses Reflektieren-Können ist Teil unseres Verstandes, unserer Vernunft, macht uns zu selbständigen Individuen, die selbstverantwortlich ihren Weg gehen können.

Die westliche Kultur neigt dazu, dieses reflexive Vernunftvermögen unseres Bewusstsein, ein analytisch reflektierendes Können als wichtigstes Bewusstseins-Vermögen an erste Stelle menschlicher Denk-Fähigkeiten zu reihen. Unser Bewusstsein ist jedoch, und auch das ist uns nichts Neues, eine unendlich komplexe „Angelegenheit“ mit unterschiedlichsten Vermögen. Viele ForscherInnen unterschiedlichster Kulturen und Zeiten haben sich bis dato daran versucht.

Ein Blick auf alte östliche Kulturen, aber auch auf älteres, eher ein wenig verschüttetes, westliches Wissen zeigt jedenfalls, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass unsere alltäglich zugängliches „Denken“, sowie jene, oben erwähnten, reflexiv-logisch-analytischen Denkfähigkeiten nur bestimmte Teile unserer Bewusstseinsvermögen sind. Unsere westliche Kultur hat viel Erfahrung darin gesammelt, dieses logische Vermögen auszubilden und zu schulen. Verstand- und Vernunftmäßiges Können – und ich denke das wissen viele Menschen rein intuitiv[4]  – ist jedoch ein Vermögen unter vielen anderen Vermögen, die aufgrund diverser kultureller Umstände eher brach liegen.  

Bewusstheit – Unbewusstheit

Völlig selbstverständlich ist uns geworden, ein Unbewusstes anzunehmen, einen bekannt-unbekanntem Ort, irgendwo in einer tiefen Schicht des Bewusstseins. Dieses Unbewusste hat, so nehmen wir an, ein grundsätzliches und allgemeines Wissen über uns, ein Wissen, das uns in unseren alltäglichen Denk- und Wahrnehmungsbewegungen jedoch nicht ganz einfach zugänglich ist. Weniger selbstverständlich ist uns, dass diese tieferen, nicht ganz einfach zugänglichen Schichten des Bewussteins seit vielen Jahrhunderten in verschiedensten kulturellen Kontexten mittels vielfältiger Praxisformen aufgespürt werden. Grundsätzlich könnte man dabei von einem, von vielen Kulturen beforschten Vermögen, eines wertfrei-betrachtend-kontemplativem Wahrnehmen-Könnens sprechen. Die kulturellen Einbindungen dieser Praxis sind natürlich verschieden und vielfältig.

 

Nun gilt es –  dies schon vorab – nicht, analytisches, reflexives Denken unterzubewerten oder abzuwerten. Unser Bewertungsvermögen ist essentielles Können des Verstandes. Hätten wir dies nicht, so könnten wir in alltäglicher Handlung nie unterscheiden, was uns zuträglich ist und was eher nicht. Wir könnten die einfachsten Dinge nicht ausführen, weil wir unfähig wären schnell und klar zu entscheiden. Unser Bewertungsvermögen ist defacto überlebenswichtig. Anzuerkennen ist allein, dass es neben reflexiv-analytischen Bewusstseinsvermögen auch andere Bewusstseinsvermögen gibt.

Eine Einheit des Bewussteins?

Was nun „Bewusstsein“ genau bedeutet und welche Aspekte, Teile und Vermögen dies beinhaltet ist eine grundlegende komplexe Diskussion, die ich hier nicht führen kann und möchte. Die Definitionen darüber sind von den Geisteswissenschaften über Psychologie bis hin zur Gehirnforschung völlig unterschiedlich.

Ich möchte hier einen Blick auf altes chinesisches Denken werfen, als eine von vielfältigen Möglichkeiten, Bewusstseinsvermögen in anderskultureller Sprache zu definieren. Das heißt nun sicher nicht, dass die alten Chinesen recht hätten oder dies ein wahres Konzept darstellt, sondern nur, dass sie eine konzeptuelle Struktur entwickelt haben, die für mich gut handhabbarer ist und sich recht anschaulich verwenden lässt. Die alten Chinesen sprechen in Bezug auf Bewusstsein von einer Einheit von Geist, Emotion und Energie und benennen dies mit dem Begriff Shen. Dieses „Shen“ ist, wenn „alles in Ordnung“ ist, die Fähigkeit, eine relativ[5] klare Erkenntnis der Welt zu haben. Shen als Gesamtes beinhaltet bewusste und unbewusste Schichten, Denken, Fühlen und Wahrnehmen-Können. Diese Gesamtheit hat nun die Aufgabe sämtliche Aspekte auszusteuern und für einen klaren Output nach außen zu sorgen. Die Klarheit in Denken, Fühlen und emotionalem Ausdruck ist eine der Hauptaufgaben, die diesem Shen zukommt. Die Fähigkeit der Klarheit kann nun aber auch abhanden kommen, dann bezeichnet man das Shen als verwirrt, unklar, trübe, verängstigt, mut- und/oder kraftlos.

Die Einheit von Geist, Emotion und Energie kann in unterschiedlichste Verzerrungen kippen. Wichtig ist zu verstehen, dass Emotion, Geist und Energie hier als Einheit begriffen werden, also nichts voneinander zu trennendes darstellen. In der Folge heißt das, dass es in diesem Konzept keine vom Denken abgesonderten psychischen Fähigkeiten und Funktionen gibt, bzw. geben kann, selbst körperliche Funktion ist in dieser Aussteuerung inbegriffen. Die Klarheit des Bewussteins ist von einer Klarheit des emotionalen Könnens, d.h. dem emotionalen Selbst abhängig. Unklarheit im emotionalen Verstehen seiner Selbst, sowie verdrängte emotionale Anteile produzieren in diesem konzeptuellen Verständnis immer verzerrte geistige Aktivitäten und verzerrten Ausdruck nach außen.

Störungen, Muster, Stress

Ein verwirrtes Shen neigt nun dazu, von der Fähigkeit klaren Denken-, Fühlen, Ausdrücken-Könnens in ein verwirrtes, unklares, verkrampftes Denken zu kippen, was sich unterschiedlich äußern kann. Ein beunruhigtes, verwirrtes Shen zeigt sich z.B. in immer wiederkehrenden Gedankenspuren, in verzerrten emotionalen Ausdrücken, in wiederkehrenden, verzerrten Gedankenschleifen, verbunden mit den jeweiligen damit verknüpften Empfindungen und Emotionen, bzw. körperlichen Empfindungen. Auch unter Stress kann unser Bewusstsein die Fähigkeit der Klarheit verlieren, kann sprunghaft, verzerrt, getrübt u.a. werden. Auch ein vorschnelles Urteilen und Bewerten in „richtig und falsch“ sowie ein verkrampftes Festhalten von vielleicht schon überholten oder alten Denkspuren, d.h. sich in fixierten, bewertende Gedanken zu verlieren, gehört zu den völlig unterschiedlichsten Symptomvarianten. Anders herum wird auch körperlicher Schmerz, Störung etc. nicht getrennt von Bewussteinsaktivitäten begriffen, bzw. gedeutet. Dieses Kippen in unterschiedlichste Verzerrungen hat natürlich völlig unterschiedliche Ursachen. Stress, Trauma, verdrängtes Erleben, verdrängte Gefühle, Belastungssituationen etc. Festzuhalten ist, dass durch verschiedenste Einflüsse, bzw. unterschiedlichste Belastungen unser Bewusstsein dazu neigt, in diese Verzerrungen, Muster zu kippen. Das bedeutet wiederum, wie wir wissen, völlig unterschiedlichste Symptomatik.


Achtsamkeitsmeditation

Um im Weiteren zu erklären was kontemplative Praxis im Sinne der Achtsamkeitsmeditation ausmacht, möchte ich weiterhin den Begriff „Shen“ verwenden. Wenn nun dieses Shen verwirrt, beunruhigt oder mut- und kraftlos ist, so macht es wenig Sinn versuchen zu wollen durch verschiedenste Mentaltechniken immer wiederkehrenden Störungen zu unterdrücken. Im Gegenteil ist dies oft nur ein weiterer Schritt zu Verdrängung und Unterdrückung abgespaltener emotionaler Anteile. Durchaus Sinn aber macht dieses Shen zu beruhigen, zu besänftigen[6] und vor allem zu klären, bzw. ein wenig zu klären.[7]

Wenn man von einer Einheit von Fühlen, Wahrnehmen, Empfinden (körperlich, psychisch) und verstandesmäßigem Denken-Können spricht, so kann man fragmentarisch an einzelnen Strängen dieser Vermögen ansetzten, was durchaus Sinn macht, da sich die Symptomatik ja in psychisch, physisch, bzw. geistigen Symptomen zeigt. Meditation heißt nun aber in einem entgegensetzten Sinn anzusetzen und die Gesamtheit zu betrachten. Achtsamkeit bedeutet ein unfragmentiertes, wertfreies, nüchternes Gewahren einer umfassenden Bewusstseinsstruktur, bedeutet diese Gesamtheit ohne fragmentarische Unterscheidungen einfach zu bemerken.

Achtsamkeit bedeutet, die Dinge klarer und nüchterner zu bemerken. Man lernt „das Material“ (Gedanken-, Gefühlsspuren etc.) zu betrachten. Die Kunst dieser Betrachtung zu erlernen heißt auch, sich von suggestiven Hinzufügungen zu lösen. Achtsamkeit erlaubt den Dingen für sich selbst zu sprechen ohne sie zu unterbrechen, erlaubt ein Gewahren von Inhalten, von „Bewussteins-Material“, d.h. die Bündelungen und Verknüpfungen, bzw. pathogenen Verstrickung zu bemerken, so wie sie nun eben einmal sind. Aber auch dieses Vermögen ist kein statisches Können, sondern in ständigem Wandel und Wechsel begriffen.

Dieses wertfreiere Wahrnehmen muss allerdings erlernt werden. Mit Glück und Geduld kann es ein hilfreiches Instrument werden, sich selbst und die Welt nüchterner, freier und frischer erkennen zu können. Man könnte Achtsamkeitsmeditationen in diesem Sinne auch als ein Lernen eines Ablassens von vordergründigen  Wichtigkeiten, von Bewertungen und von Vorstellungen einer fixierten So-ist-es-Welt nennen. Man lernt nach und nach Da-zu-Sein, offen zu sein, für das was sich hinter allerhand Verzerrungen verbirgt. Vielfältiges „Bewussteinsmaterial“ hat die Chance einer ruhigeren Strukturierung.  Gedankenspuren, die sich in immer wiederkehrenden Schleifen festgesetzt haben, können besser losgelassen werden, um den Inhalt der Schicht, die sich darunter verbirgt, ein Stück weit frei zu geben. Auch Gedanken, die man oft vermeidet, können im besten Fall ruhig und ohne Aufregung gedacht werden.

Meditative Praxis in Form von Achtsamkeitsmeditation kann helfen, sich selber wieder besser und aufmerksamer begegnen zu können, Klarheit über stressbedingte Gedankenschleifen zu bekommen, d.h. die Struktur der eigenen Bewussteinszugänge zu klären. Meditation birgt diese kleine Chance, einerseits ein wenig Abstand zu bekommen von einem immer wiederkehrenden „ich sollte, könnte, müsste“, wiederkehrenden überzogenen Sorgen, gedanklichen Engen, alten Gedankenspulen etc.,  andererseits sich zu öffnen für ein aufmerksames ruhiges Betrachten des eigenen Selbst und individueller Umwelten.

Wir kennen die alltägliche Erfahrung, dass es gut tut – in bestimmten Situationen, Zusammenhängen –  ein wenig Abstand zu bekommen, ein wenig Distanz zu unserem alltäglichen oft sich ständig wiederholenden und emotionalen Verstrickungen, welchen Ursprung diese nun auch haben mögen. Wir wissen, dass oft allein schon der Hinweis: „Setz dich doch mal hin, atme ruhig, durch, geh ein wenig spazieren“ hilft, ein wenig Abstand zu immer wiederkehrenden Sorgen, Grübeleien usw. zu bekommen.

Reflexion

Achtsamkeitsmeditation birgt die Chance eines Gewahrwerdens eigener subtiler Anhaftungen und vorschneller Denkbewegungen. „Aha so denke ich, aha so reagiere ich“ „Aha dies und jenes wehre ich vorschnell ab“. „Aha so beschönige ich dies und das, oder aha so überhöhe ich dies und jenes“. Gleichzeitig bedeutet es als Haltung eine Offenheit zu neuer Erfahrung zuzulassen.  Achtsamkeitsmeditation ist allerdings keine Übung, keine Form, auch kein Training, sondern eine Praxis, die nichts von außen Auferlegtes sein kann. Achtsamkeit erschöpft sich nicht in Übung, sondern ist eine Haltung, die sich selbstverständlich in die Gesamtstruktur des Bewussteins integriert. Meditation ist ein Mittel um diese Haltung als Selbstverständnis, im Sinne eines wertfreien Betrachtens, eines „Sich-selber-ernstnehmens“ anzueignen.

In der Praxis werden nach und nach erfrischende Erkenntnisse, Empfindungen etc.  auftauchen. Ein guter Unterschied endlos wiederkehrende Gedankenschleifen, bzw. vorschnelle wieder nur selbstsuggestive Gedanken von echterer achtsamer Erkenntnis zu unterscheiden ist, dass letztere zumeist erst einmal verwirrend ist, sich vage anfühlen, unklar, wie nicht dazugehörig, fremd, auch verwirrend und auf irgendwie ruhige Weise beunruhigend. Man muss sich damit abfinden, dass sich durch kontemplative Praxis hervorgerufene Eindrücke oft sogar sehr vage anfühlen, was nicht heißt, dass sie es auch sind, aber für unseren Alltagsverstand kann es sich erst einmal so anfühlen.

Unser Bewusstsein kann ohne viel Mühe allerhand Erfahrungen produzieren, Einbildungen, Suggestionen, egohaft überlagerte Spür- und Fühlsensationen. Wie oben schon erwähnt, ist es wichtig wahre Achtsamkeitserkenntnis von suggestiver Einbildung zu unterscheiden. Die alten MystikerInnen geben uns dazu ein wesentliches Merkmal zur Hand. Wahres, so die alten FreundInnen, fühlt sich immer erfrischend an. Wie beunruhigend,  fremd oder vage solche Erkenntnisse auch sein mögen, fühlen sie sich doch in erstaunlicher Weise frisch, wenn auch ernüchternd, an. Achtsamkeit ist eine Haltung, in das Fremde, Unbekannte, das nicht Einordenbare einzutauchen, dies jedoch als völlig natürlich anzusehen.

In der Folge gilt es, sich selber als erkennendes Individuum im Sinne einer selbstverständlichen achtsamen Aufmerksamkeit ernst zu nehmen. Dieses intuitive Gewahren ist in bestem Fall ein konstruktiver Beitrag zu Selbsterkenntnis und einer darauf basierenden Handlungsmotivation, die ruhig und beharrlich eigenen Bedürfnissen, Erkenntnissen und Ausdrucksnotwendigkeiten Raum zu geben vermag.

Anfänge

Achtsames Beobachten und Wahrnehmen des eigenen Selbst, des eigenen Qi, des eigenen Seins, ist im Grund etwas sehr Einfaches, aber genau da steckt wahrscheinlich auch die Schwierigkeit mit drinnen. Ein nüchternes Dabei-bleiben bei der Betrachtung eines Selbst, das doch so gerne hin und her springt und Ablenkung sucht, fordert den Geist sehr. Es kann passieren, bzw. jeder Anfänger kennt die Schwierigkeit, weit abzutreiben, sich in Tagträumen zu verlieren. Oft neigen AnfängerInnen auch dazu, anstatt Bewertungen erst einmal gehen zu lassen, die eigene Erfahrungen sofort überzubewerten, erste kleine Erkenntnisse sofort in narzisstischer Überhöhung darzustellen. Oft scheint es schwer zu sein, akzeptieren zu können, dass es sich um einen längeren Prozess handelt und nicht um ein schnelles Erlernen einer neuen, besseren oder effektiveren „Technik“. 

Ein erster wichtiger Schritt in den oft auch recht unterschiedlichen Praxisempfehlungen ist, zu lernen, „alles was ist“ einfach wahrnehmen zu lernen, ohne es zu bewerten. Gedanken, Empfindungen, Gefühle kommen und gehen, kreisen eine Zeit lang, man bemerkt dies und lässt sie wieder ziehen. Man verhilft dem Bewusstsein erst einmal sich zu entkrampfen, Wichtigkeiten umzuordnen. Mit der Zeit kann etwas Abstand, etwas Distanz zu diesem „Eigenen“ entstehen. Dieser Abstand ist aber nicht trennend, sonder eher eine Art Innehalten, um Zugänge zu intuitiverem Begreifen öffnen zu können. Bricht in dieser Betrachtung eine erfrischend neue, spontane Erkenntnis durch, so wird man dies mit einiger Übung bemerken und unterscheiden lernen von alten, schon bekannten bewertenden Einstellungen, bzw. Gedankengängen.

Dieses „Sich-in-nüchternem-Abstand“ achtsame Wahrnehmen verlangt Übung und Zuwendung. Achtsamkeit ermöglicht die Dinge so zu betrachten, wie sie sich zeigen, ohne diese zu beschönigen, zu überhöhen oder auch unterzubewerten und vor allem, ohne all das, was sich hier eben zeiget, sofort verändern zu wollen, bzw. sofort nach Lösungen zu suchen. Zu Beginn ist dieses Bemerken des eigenen Selbst, der eigenen inneren Landschaft (im Sinne einer Einheit des Bewussteins), der eigenen Struktur, zugleich Zweck der Übung.

Fallen

So gut dieses Beobachten-lernen ist, so sehr birgt es wiederum die Gefahr ständig um sich selbst zu kreisen, unendlich kompliziert zu werden, sich ständig zu beobachten, all sein eigenes Verhalten schon rein grundsätzlich unter Verdacht zu stellen. Wichtig scheint mir daher, diesem Tun einen guten Platz einzuräumen im Leben, es dann aber auch wieder zu vergessen, um frei und spontan zu bleiben und darauf zu vertrauen, dass sich Praktiziertes schon in den Alltag integriert ohne dass man eigenes Denken ständig überwachen muss.

Es geht nicht darum, einfach alles loszulassen, sich an gar nichts mehr zu binden, und ewig gelassen herumzulaufen. Oft vermeinen PraktikerInnen, es wäre Sinn der Übung alle „negativen“ Gedanken sofort loszulassen. Übersehen wird, dass in der Unterscheidung negativ / positiv wieder Bewertung steckt und somit einen wertenden Geist eher unterstützt als von seinen Verstrickungen zu entbinden vermag. Im Gegenteil ermöglicht Achtsamkeit im besten Fall sich selber und die Welt um sich herum ernster zu nehmen, klarer zu sehen und somit auch klarer handeln zu können. „Aha so fühlt sich dieser tiefe Ärger oder diese tiefe Angst an“ und diese Gefühlsspuren genau zu betrachten, bzw. dabei zu bleiben, heißt Bewussteinsspuren ernst zu nehmen, wie immer sie sich auch zeigen, ohne Illusion, ohne Verdrängung, mit Offenheit und Akzeptanz.

Es bedarf der Stille, der Ruhe, der Zeit, der Muße, still und ruhig zu werden, sich im Anschauen zu üben und sich nicht beirren zu lassen. Neben all dem therapeutischen Effekt, heißt dies ganz einfach auch zu lernen, sich an etwas erfreuen zu können, ohne es sofort Haben zu wollen, ohne Vergleich ohne Bewertung. Ein entscheidender Gedanke ist, dass genauso wichtig wie der Gesundungseffekt auch das Verweilen im Genuss dieser Praxis ist. Im besten Fall wird man in diesem erfrischenden Betrachten die Schönheit im Leben stärker wahrnehmen können, die Schönheit im Anderen, der Umwelt, etc. Passiert das nicht, kann man zum Sklaven der Übung, bzw. der Aufarbeitung werden, worüber man die Gegenwart, das Hier und Jetzt wiederum auf recht unachtsame Weise vergessen kann. Wenn man dies allerdings akzeptiert eröffnet sich mit Geduld und Glück neue Klarheit, jedoch auch diese Klarheit muss man erst lernen zu begreifen.


[1] Claudio Naranjo: Psychologie der Meditation, Frankfurt, 1994.

[2] Vgl. Thomas Cleary: Taoistische Praxis, München, 1998, 169.

[3] Ebenda, 173.

[4] Das mag auch damit zusammenhängen, dass jeder die Erfahrung kennt, dass man plötzlich, quasi aus dem Nichts heraus, in einer intuitiven, erfrischenden Art des Denkens „landen“ kann,  in einer Art des Denkens, die einem umfassenden, spontanen Erkennen entspricht. Weniger bekannt ist, dass man diese intuitive Erkenntnisebene auch „ausbilden“, bzw. schulen kann.

[5] Relativ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass unser „Wahrnehmen der Welt“ immer relativ unseren Fähigkeiten entspricht, sich in einem bestimmten Raum-Zeit-Wahrnehmungsfaktor bewegt und darüber hinaus immer subjektives Empfinden bleibt.

[6] Dieser Ausdruck wir in chinesischer Terminologie gerne verwendet

[7] Dieses „ein wenig“ bedeutet hier zu berücksichtigen, dass ein völlig klares Shen eine illusorische Angelegenheit ist, beziehungsweise in diesen Konzepten dem Begriff der Erleuchtung schon recht nahe kommt.

 

Die Philosophie alter daoistischer Meditationswege

 

„Mit einer Reuse fängt man Fische; hast du den Fisch gefangen, kannst du die Reuse vergessen. Eine Schlinge braucht man zum Fangen von Kaninchen; ist das Kaninchen gefangen, kannst du die Schlinge vergessen; hast du die Idee erst einmal begriffen, kannst du die Wörter vergessen. Wo finde ich nur einen Menschen, der die Wörter zu vergessen weiß, so dass ich einige Wörter mit ihm wechseln könnte?“

Zhuangzi [2]

Die sehr komplexe Praxis des Qi Gong und Taichi hat ihre Ursprünge innerhalb der daoistischen Kulturströmung des alten Chinas zur Zeit des 6. –  3. Jahrhunderts v. Chr. Daoistische Naturphilosophie erlebte damals, neben der bei weitem bedeutsameren konfuzianischen Gesellschaftslehre, einen Aufschwung, welcher sich in vielen Aufzeichnungen und Schriften niederschlug. Bis heute bekannt sind vor allem die Werke der Philosophen Lao Tse (Daodejing) und Zhuangzi. Dieser Zeitabschnitt ging in die Geschichte als Epoche der Streitenden Reiche ein. Viele kleinere und größere Fürstentümer kämpften um ihre Vorherrschaft. Wie so oft in Krisenzeiten treten für die Folgezeit bedeutsame und prägende Persönlichkeiten auf. Konfuzius, wohl der bekannteste Philosoph des alten China,[3] antwortete auf die Wirren und Kämpfe seiner Zeit mit einem moralisch-ethischen Konzept. Ordnung, Struktur und Reglementierung sollten die Menschen zu friedvoller Vernunfteinsicht führen.

Einen anderen Weg schlugen die Anhänger der daoistischen Kulturströmung ein.
Frieden könne oder müsse der Mensch zuallererst in sich selbst finden, um alsdann zu einem friedlichen Miteinander beitragen zu können. Die Perspektive menschlicher Entwicklung ist ein dem eigenen Wesen gemäßer Bewusstseins-Prozess. Daoistische DenkerInnen wussten, dass einschränkende Traditionen und Reglementierung individuelles Wachstum behindern. Allein ein Mensch, der seine Persönlichkeit kultiviert, sein Bewusstsein verfeinert, kann ein „wahrer Mensch“ werden. Ein solch „wahrer Mensch“, der letztlich seinen kleinen menschlichen Geist zugunsten eines großen universellen Bewusstseins aufgibt, unterwirft sich keiner weltlichen Autorität, sondern folgt lediglich den Gesetzen des Dao.[4] Daoistische DenkerInnen, die sich selber als Freidenker und Naturphilosophen verstanden, zogen sich in kleine Gemeinschaften zurück (da diese noch wenig Reglementierung brauchten), um sich meditativer Übung und heilkundlicher Naturforschung zu widmen.

Im inneren Weg daoistischer Praxis spielt der Wert der Freiheit eine zentrale Rolle. Es finden sich in alten Texten viele Hinweise darauf, dass es für den Übenden im Laufe der Zeit wichtig wird, selbst vorgegebene Übungsanleitungen den eigenen Bedürfnissen und Talenten anzupassen. Es scheint unabdingbar, im Übungsweg dem eigenen Wesen, der eigenen individuell-emotionalen Persönlichkeitsstruktur gerecht zu werden, damit diese sich entfalten und reifen kann.[5] Auch viele Frauen folgten den Spuren daoistischer Praxis. Sun Bu Er, eine Philosophin des 12. Jahrhunderts, schreibt: „Man muss viel viel verstanden und erfahren haben, und für Menschen, die sich hierin schulen, ist es notwendig, bei klarem Verstand zu sein, denn Einlass findet nur, wer in sich selbst tief genug bewegt ist, um aus eigenem bis zur Tür zu gelangen. Würde alles aufgeschrieben, so hätte man aus einer lebendigen Methode eine tote gemacht. Da die Menschen aus Natur und Empfinden verschieden sind, da sie von unterschiedlicher Veranlagung sind, könnten sie mit der Praxis toter Methoden Krankheiten heraufbeschwören und würden nicht nur keinen Nutzen, sondern sogar Schaden stiften.“ [6] Man solle sich daher hüten, so Sun Bu Er, diese Künste zu ersticken.

Daoistische DenkerInnen wussten um die Relativität der Wirklichkeit. Sun Bu Er schreibt: „Die Gegenwart darf nicht verdinglicht werden, behelfsmäßig sagen wir, sich daran halten.“[7]

[1] Vgl. Manfred Kubny: Qi Lebenskraftkonzepte in China. Definitionen, Theorien und Grundlagen, Heidelberg 1995, Seite 1–8. Vgl. Alexandra Tschom (heute Gusetti): Die Kunst des Qi Gong und Taichi. Alte Wege neu beschreiten. Stuttgart 2008, Seite 16ff.

 [2]Zhuangzi: Chinesischer Philosoph, um 365- 290 v. Chr.
Zhuangzi. Das klassische Buch daoistischer Weisheit.Victor Mair (Hg.), Frankfurt/M. 1998, Seite 380.

[3] Kunfuzius: chinesischer Philosoph, 551 – 479 v. Chr.

[4] Dao: chinesischer Begriff, welcher ein naturimmanentes Prinzip universellen allumfassenden Wissens beschreibt.

[5] Vgl. Alexandra Tschom (heute Gusetti): Die Kunst des Qi Gong und Taichi. Alte Wege neu beschreiten, Seite 23ff.

[6] Zitiert nach Thomas Cleary (Hg.): Das Tao der weisen Frauen. Der weibliche Weg der inneren Entwicklung. München 1993, Seite 51.

[7] Zitiert nach ebenda Seite 108.

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